Eine nichtgehaltene Rede: „Oberbilk im Visier von Immobilieninvestoren“
Liebe Oberbilkerinnen und Oberbilker,
Corona überschattet derzeit alles. Aber Corona ist nicht alles. Morgen hätte eigentlich der „Housing Action Day“ stattfinden sollen, zu dem nicht nur bundes-, sondern europaweit wohnungspolitische Initiativen aufgerufen haben. Wegen der Corona-Kontaktsperre mussten aber alle aushäusigen Aktivitäten abgesagt werden. Das betrifft auch den investorenkritischen Spaziergang durch Oberbilk, zu dem das Düsseldorfer Bündnis für bezahlbaren Wohnraum zusammen mit der Agentur für urbane Unordnung aufgerufen hatten.
Zum Auftakt des Spaziergangs am Oberbilker Dreiecksplätzchen war ein Beitrag geplant, der den Stadtteil in die derzeitige Entwicklung des Düsseldorfer Immobilenmarktes einordnen sollte. Die nichtgehaltene Rede gibt es nun in schriftlicher Form:
Oberbilk im Visier von Immobilieninvestoren
Oberbilk – ein neues Trendquartier?
„Düsseldorfs neue Visitenkarte“, „Leben im Herzen der Stadt“, „Mehr als nur wohnen“. So wirbt Catella, schwedisches Finanzunternehmen und Immobilienentwickler, für sein Projekt „Grand Central“. Auf dem ehemaligen Gelände der Paketpost neben dem Hauptbahnhof sollen ca. 1000 Wohnungen entstehen, auch ein Hotel wird dabei sein. Überhaupt Hotels: Die scheinen derzeit in ganz Düsseldorf, und eben auch in Oberbilk, wie Pilze aus dem Boden zu sprießen. Auf der anderen Seite des Hauptbahnhofs entstehen gleich drei weitere Hotels mit insgesamt 717 Zimmern, im nächsten Jahr sollen sie fertig sein. Der Projektentwickler GBI AG preist sich selbst als „größter aktiver Hotelentwickler in Deutschlands Metropolen“ an und wirbt damit, auch neue Produktideen für „Mikrowohnen“ entwickelt zu haben. Denn neben Hotels sind Mikroapartments, möblierte Kleinstwohnungen zu Höchstpreisen, für Investoren der Anlageschlager mit hohem Renditeversprechen, noch vor hochpreisigen Luxuswohnungen. Obwohl selbst der Branchenverband der Hotelbetreiber bereits vor drohenden Überkapazitäten in Düsseldorf warnt, ist die GBI AG überzeugt, dass der Markt noch mehr Hotels hergibt. Andere Investoren teilen diese optimistische Sicht (die sich allerdings mit der derzeitigen Corona-Krise erheblich eintrüben könnte): Die drei Hotels wurden bereits vor dem Baustart an die DWS Group, einen der weltweit führenden Vermögensverwalter verkauft. Östlich anschließend an das Gelände des geplanten „Grand Central“ ist an der Moskauer Straße der Bau des 438-Zimmer-Hotels von Citygrove, ein international tätiges britisches Immobilien- und Investmentunternehmen, fast fertig. Und weil das immer noch nicht reicht, wird direkt gegenüber noch ein Holiday Inn Express Hotel mit über 450 Zimmern gebaut, angeblich das größte dieser Marke in Kontinentaleuropa (Betreibergesellschaft: Primestar Hotel GmbH zusammen mit UBM Development und Munich Hotel Project.). Aber auch Wohnprojekte sind für Investoren interessant: „Mieten. Wohnen. Mittendrin. Oberbilk gewinnt“ lautet etwa der Werbeslogan der Vivawest GmbH, einem der führenden Wohnungsanbieter in NRW für ihr Projekt „Schöffenhöfe“. 370 Mietwohnungen sind hinter dem Landgericht an der Werdener Straße auf ehemaligem Bahngelände entstanden. Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen.
Noch etwas zögerlich hatte der Gentrifizierungsprozess in Oberbilk in den 1980er Jahren mit der Bebauung des Bertha-von-Suttner-Platzes hinter dem Hauptbahnhof begonnen. Auf dem Gelände des ehemaligen Oberbilker Stahlwerks entstanden zunächst nur Bürogebäude, später kamen einige Wohnungen dazu. Fahrt aufgenommen hatte die bauliche Aufwertung dann Ende der 1990er/Anfang der 2000er Jahre mit der Entwicklung des sogenannten IHZ-Geländes, einer ehemaligen Industriebrache, auf der Wohnungen und Bürogebäude entstanden, darunter die Düsselorfer Zentrale des bedeutenden Wirtschaftsprüfers PriceWaterhouseCoopers (PwC) GmbH. Zu den spektakulären Wohnprojekten dieser Phase gehört das Wohnprojekt „It’s“, inselhaft im Blockinnenbereich zwischen Eller-, Krupp-, und Linien- und Höhenstraße von der Düsseldorfer Gentes Wohnen GmbH auf dem Gelände einer ehemaligen Emaillefabrik, später einem Autoverkaufs- und Auslieferungslager, realisiert. 82 Eigentumswohnungen entstanden hier, mit Wasserflächen, viel Grün und lärmgeschützt dank der bestehende Blockrandbebauung. Das Ganze hat die Anmutung einer Gated Community, einer geschlossenen Wohnanlage mit von außen erreichbarer Tiefgarage, von der aus man dann im Innern per Aufzug zu den Wohnungen gelangt. Der Geschäftsführer von Gentes Wohnen GmbH schwärmt von „Oberbilk als neuem Trendquartier“, das er im Überschwang schon mal mit dem Prenzlauer Berg in Berlin vergleicht.
Oberbilk – der „Hinterhof Düsseldorfs“?
Man reibt sich verwundert die Augen. Oberbilk ein „Trendquartier“ im „Herzen der Stadt“? Ein Standort „mittendrin“, an dem mehr als nur Wohnen möglich ist? Da haben wir aber noch ganz andere Bilder vor Augen und Stimmen im Ohr: Seit seiner Entstehung als Industrie- und Arbeiterviertel Mitte des 19. Jahrhunderts war Oberbilk das „Schmuddelkind“ unter den Quartieren der Stadt. Das bürgerliche Düsseldorf schaute mit einer Mischung aus naserümpfender Ignoranz und Verachtung auf die multikulturelle proletarische Bevölkerung des Stadtteils, die sich mehrheitlich aus Zuwanderern nicht nur aus anderen Teilen Deutschlands, sondern aus ganz Europa zusammensetzte. Oberbilk galt als der „Hinterhof Düsseldorfs“, ein Ruf, der sich bis heute erhalten hat. Es war das „Viertel hinter den Gleisen“, von der übrigen Stadt durch die auf Dämme hochgelegten Bahntrassen wie durch eine chinesische Mauer abgetrennt, so beschreibt es der in Oberbilk geborene Schriftsteller Dieter Forte in seinem Roman „Das Muster“. Oberbilk war eine Welt für sich.
Bis in die 1970er Jahre hatte sich die industrielle Wirtschaftsstruktur des Stadtteils nicht wesentlich verändert. Zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs im Nachkriegsboom mussten für die Fabriken in Oberbilk wieder ausländische Arbeitskräfte angeworben werden. Die „Gastarbeiter“ kamen nun aus Italien, Spanien und Griechenland, später aus Jugoslawien und der Türkei. Viele kamen auf der Suche nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen aus noch entfernteren Regionen, andere mussten als Flüchtlinge ihre Heimat verlassen und fanden in Oberbilk ein neues Zuhause. Viele kamen, um zu bleiben. Das lag auch daran, dass es hier im Vergleich zu anderen Stadtteilen Düsseldorfs noch relativ günstige Wohnungen gab. Die waren im ehemaligen Arbeiterquartier Oberbilk war meist klein und oft schlecht ausgestattet. Und das Quartier hatte nach wie vor einen schlechten einen schlechten Ruf. Aber aus eben diesen Gründen war Wohnen in Oberbilk auch lange relativ preisgünstig. Das war auch für Studierende der nahegelegenen Düsseldorfer Universität attraktiv, viele wohnten im Quartier. Auch heute gibt es in Oberbilk noch Nischen, in denen auch diejenigen ein innerstädtisches Unterkommen finden, die in anderen Teilen der reichen und teuren Stadt Düsseldorf keine Chance hätten.
Heute leben im Stadtteil Oberbilk rund 30.000 Menschen. Davon haben fast 56 % eine Migrationsgeschichte, weitaus mehr als im gesamtstädtischen Durchschnitt (knapp 42 %, Stand Ende 2018). Die multikulturelle Bevölkerungsmischung wurde in der Außensicht oft mit Kriminalität, Drogenhandel und Gewalt in Verbindung gebracht. Die Konzentration marokkanisch-stämmiger Zuwanderer in einem kleinen Teil des Quartiers zog abwertende und stigmatisierende Bezeichnungen wie „Klein-Marokko“ oder „Maghreb-Viertel“ nach sich. Für ein Ermittlungsprojekt der Polizei im Jahr 2016, in dessen Verlauf mehrere Razzien durchgeführt wurden, hatte man sich sinnigerweise die Bezeichnung „Casablanca“ ausgedacht.
Vom Schmuddelkind zum Objekt der Begierde von Investoren
Wie aber ist es dazu gekommen, dass ausgerechnet der „Hinterhof der Stadt“, das „Schmuddelkind“ unter den Quartieren Düsseldorfs, nun ins Visier von Immobilieninvestoren und Spekulanten geraten ist? In den 1970er Jahren wurde Oberbilk wie andere Industriestandorte in der Region und ganz Deutschland von einem massiven wirtschaftlichen Strukturwandel erfasst. Dieser Strukturwandel hat im Stadtteil zum praktisch vollständigen Verschwinden der Industrie und zum Aufstieg einer neuen Dienstleistungsökonomie geführt.
Die Stadt Düsseldorf gehört im deutschen Städtesystem zu den führenden Standorten mit hochrangigen Funktionen für die globalisierte Weltwirtschaft (u.a. Messe, Wirtschaftsprüfer, spezialisierte Anwaltskanzleien, Werbewirtschaft, Einbindung in die überregionale Verkehrsinfrastruktur). Diese Städte boomen, sie verzeichnen Wanderungsgewinne, die Zahl ihrer Einwohner wächst. Mit München, Berlin, Frankfurt und Hamburg gehört Düsseldorf auch zu den fünf führenden Standorten für Immobilieninvestitionen in Deutschland. Allein im Jahr 2018 wurden in Düsseldorf knapp 4,8 Mrd. € in Immobilien investiert. Das hängt auch damit zusammen, dass nach der Finanzkrise von 2008 und der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken die Finanzwirtschaft unter erheblichem Druck stand, rentierliche Anlagemöglichkeiten für überschüssiges Kapital zu finden. Der Immobiliensektor wurde für Investoren zum Retter aus dem „Anlagenotstand“. Auch der Düsseldorfer Immobilienmarkt geriet bald in den Fokus von Finanzinvestoren. Die Folge: Seit 2008 sind dramatische Preissteigerungen zwischen 60 -70% für Grundstücke, Gebäude und Eigentumswohnungen zu verzeichnen. Und davon ist auch der Mietwohnungsmarkt betroffen, Oberbilk macht davon keine Ausnahme. Steigende und für immer mehr Menschen nicht mehr bezahlbare Mieten sind die Folge.
Im Stadtraum sind für Investoren gerade die Standorte besonders interessant, die aus ihrer Sicht untergenutzt sind. Nach ihrer Meinung könnte man dort, gemessen an der aktuellen Nutzung, deutlich höhere Renditen erzielen. Auch die Düsseldorfer Stadtentwicklungspolitik sieht in den innenstadtnahen Quartieren das größte Potenzial für die künftige Expansion der Stadt, sowohl was die Zunahme der Einwohnerzahl auch was den weiteren Bedeutungsgewinn der hochrangigen Dienstleistungen betrifft. In den an die Innenstadt angrenzenden Stadteilen seien die Freiräume gegeben, die für die in Zukunft erwarteten großen Umbrüche benötigt würden.
Und hier kommt Oberbilk ins Spiel! Gemessen an seinem Potential wird der Stadtteil aus Investorensicht deutlich unter seinen Möglichketen genutzt: Aus Oberbilk könnte man mehr machen, sagen sie. Die Standortvorteile des Quartiers liegen dabei auf der Hand: Oberbilk liegt innenstadtnah, ist mit U-Bahn, S-Bahn und Stadtbahnen hervorragend in das städtische Verkehrsnetz eingebunden. Mit dem Hauptbahnhof besteht ein direkter Anschluss an die überregionalen Bahnverbindungen sowie eine schnelle Verbindung zum Flughafen. Im Zuge der Deindustrialisierung waren die ausgedehnten Industrieflächen des Stadtteils zu Industriebrachen geworden. Und genau dadurch wurden sie in dem nun schon über 10 Jahre andauernden Immobilienboom zu begehrten Objekten für Investoren und Spekulanten, die hier die Chance sahen, lukrative neue Nutzungen zu etablieren.
Diese Entwicklung hat auf dem Immobilienmarkt zu erheblichen Wertsteigerungen geführt. Davon sind auch die Bestandswohnungen im Quartier nicht unberührt geblieben. Die Spekulation von Immobilieninvestoren, in Oberbilk ließen sich Renditen erzielen, die deutlich über den bisher im Stadtteil üblichen Margen liegen, hat nicht bei den Industriebrachen Halt gemacht und ist nicht auf Neubauten beschränkt geblieben. Es wird zunehmend auch in den existierenden Wohnungsbestand investiert: Privaten Hauseigentümern werden Kaufangebote gemacht, die sie kaum ablehnen können. In der Folge kommt es dann zu Modernisierungen und Mieterhöhungen, oft aber auch zu Wohnungsumwandlungen und dem lukrativen Verkauf als Eigentumswohnungen. Bisherige Mieter werden hinausgedrängt, können vielfach die höheren Mieten nicht mehr zahlen und sind oft zum Umzug in andere Teile der Stadt oder ins Umland gezwungen, weil innerstädtisch kaum noch bezahlbarer Wohnraum zu finden ist. Damit werden gewachsene soziale Netze zerrissen und ein wichtiges Element der Lebensqualität im Quartier gerät in Gefahr.
Wird der derzeitigen Entwicklung nicht Einhalt geboten, werden sich bald nur noch Haushalte mit höheren Einkommen innerstädtisches Wohnen leisten können. Die sozial und kulturell gemischte Bevölkerungsstruktur Oberbilks gerät damit unter starken Druck, längerfristig könnte sie sogar ganz verschwinden. Das wäre nicht nur ein Verlust für Oberbilk, es wäre ein Verlust für ganz Düsseldorf. Denn es ginge der lebendige und kreative Charakter eines Stadtteils mit einer sozial und kulturell gemischten Bevölkerung verloren, ein Stadtteil, in dem immer wieder neue Wege und Formen erprobt werden, wie das gedeihliche Zusammenleben einer heterogenen Bevölkerung trotz aller Hindernisse gelingen kann. Oberbilk könnte in dieser Hinsicht sogar ein Vorbild für andere Quartiere und Städte sein. Das von dem Bündnis „Wohnen bleiben im Viertel“ gestartete Bürgerbegehren, mit dem der Erlass von Milieuschutzsatzungen in Düsseldorf erreicht werden soll, hat zum Ziel, der Verdrängung von langjährigen BewohnerInnen des Quartiers etwas entgegenzusetzen und so die gewachsenen sozialen Strukturen zu schützen. Für Oberbilk wäre eine solche Milieuschutzsatzung ausgesprochen wichtig, eine nachhaltig wirksame Lösung kann man davon allerdings nicht erwarten.
Dafür wird es nötig sein, dass sich die BewohnerInnen des Stadtteils lauter und vernehmlicher als bisher mit ihrem Anliegen Gehör verschaffen: In einer städtischen Umwelt zu leben, die in erster Linie für die Menschen da ist, und nicht nur Mittel zum Zweck sein darf, immer höhere Renditen zu erwirtschaften. Das Kalkül von Investoren und Spekulanten, Oberbilk durch die Verdrängung weniger zahlungskräftiger Bevölkerungsgruppen in ein hochpreisiges Quartier zu verwandeln, das sich nur noch Besserverdienende und Reiche leisten können, darf nicht aufgehen!
Helmut Schneider (28.3. 2020)